"Religionen können und müssen Vertrauen in Demokratie fördern"
Die Wiener Theologin und Werteforscherin Prof. Regina Polak bei der KMBÖ Sommerakademie: Religiosität hat unter bestimmten Voraussetzungen positiven Einfluss auf demokratiepolitische Einstellungen.
Persönliche Religiosität hat unter bestimmten Voraussetzungen einen positiven Einfluss auf die demokratiepolitischen Einstellungen. Wenn die Glaubensüberzeugung verbunden ist mit aktiver Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft und mit sozialer Aktivität, stärkt dies das Vertrauen in den Parlamentarismus und in die Qualität einer Demokratie und führt zur Ablehnung eines „starken Führers“, berichtete die Wiener Theologin und Werteforscherin Prof. Regina Polak bei der diesjährigen Sommerakademie der Katholischen Männerbewegung Österreich (KMBÖ) in Horn. Fehlt einer starken religiösen Überzeugung die Anbindung an eine religiöse Gemeinschaft und Praxis, tendieren diese Personen zu geringem Vertrauen in eine Demokratie und zur Befürwortung autoritärer Machtausübung.
Die derzeit laufende Sommerakademie ist dem Thema „Glaube – Macht – Politik“ gewidmet. Polak wies darauf hin, dass im Index liberaler Demokratien im Jahr 2022 weltweit die Zahl nicht liberaler Demokratien erstmals höher lag als die Zahl der liberalen. Eine weitere signifikante Entwicklung der letzten beiden Jahrzehnte: Seit 2007 sinkt weltweit die Religiosität, besonders unter Jugendlichen. Das gelte für alle Religionen, auch wenn dies nicht überall wahrgenommen bzw. thematisiert werde.
Diese Entwicklung führe in der Regel zu verstärkten inneren Konflikten und Polarisierungen in den einzelnen Kirchen und Religionsgemeinschaften. Zum anderen komme es mit dem Bedeutungsverlust von Religion im Gegenzug gleichzeitig zu politischer Instrumentalisierung von Religion. Als Beispiel dafür nannte Polak, dass – etwa in der Debatte über Migration – manche Politiker bzw. Parteien behaupten, „christliche Werte“ zu verteidigen, obwohl diese Werte „vom biblischen Ethos weit entfernt sind“.
„Fundament der Demokratie wird brüchig“
Im Blick auf Österreich zeigt die Europäische Wertestudie seit 2017 einen deutlichen Rückgang des Vertrauens in die demokratischen Institutionen – Parlament, Parteien, Regierung, Gerichte, Verwaltung. Einzig Polizei und Bundesheer seien davon ausgenommen. Dabei sei die grundsätzliche Zustimmung –„es ist wichtig, in einer Demokratie zu leben“ – seit Jahren mit über 90 Prozent sehr hoch. Gesunken sei das Vertrauen in die Qualität und die einzelnen Institutionen – bei gleichzeitig steigender Zustimmung zu autoritären Regierungsformen. „Das Dach der Demokratie ist von oben betrachtet in Ordnung, das Fundament aber ist brüchig“, so die warnende Analyse Polaks.
Das Demokratieverständnis sei in der Krise, wenn Demokratie als vereinbar mit autoritären Regierungsformen und mit der Einschränkung von Menschenrechten und den Rechten für einzelnen Gruppen gedacht werde, so die Werteforscherin. Ein solches „uninformiertes Demokratieverständnis“ missverstehe Demokratie als bloße „Herrschaft der Mehrheit“ bei gleichzeitiger Ablehnung von Pluralität und Minderheitenrechten.
Auf der Ebene von Religion und Kirchen hat sich auch in Österreich eine – in den vergangenen Jahrzehnten gerne vertretene – These als falsch herausgestellt: die These vom „Believing without Belonging“ – von Glaube und Religiosität ohne Anbindung an eine Gemeinschaft und eine soziale Praxis. Gerade jetzt erlebe man: „Ohne institutionelle Anbindung verdunstet auch der Glaube an Gott.“ Übrig blieben häufig eine indifferente Religionsfreundlichkeit oder eine diffuse Religiosität. Dieser „Praxisverlust reduziert Religion auf eine Weltanschauung, die anfällig für politische Ideologien werden kann, insbesondere im Bereich Migration und Nationalismus“.
Die Religionsgemeinschaften müssten sich daher überlegen, wie sie „demokratieförderliche“ Werte und Einstellungen fördern können. Die Politik ihrerseits müsse auf eine Instrumentalisierung von Religion verzichten, den Dialog mit den Religionen suchen und religiöse Bildung fördern, so Polak.
(jp/19.7.2024)
"Kirchenhistorikerin ruft zu politischer Wachsamkeit auf"
Prof. Michaela Sohn-Kronthaler bei der KMBÖ-Sommerakademie zu den „langen Schatten des Februar 1934“.
Den Auftrag jeder Katholikin und jedes Katholiken und der Kirche insgesamt in Österreich, politisch wachsam zu sein und Menschenrechte und Menschenwürde zu verteidigen, hat die Grazer Kirchenhistorikerin Prof. Michaela Sohn-Kronthaler unterstrichen. Unter dem Titel „Die langen Schatten des Februar 1934“ erinnerte Sohn-Kronthaler bei der Sommerakademie der Katholischen Männerbewegung Österreich (KMBÖ) in Horn an die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Kirche und Politik in der Zwischenkriegszeit, deren negative Höhepunkte die Ausschaltung des Parlaments und die Errichtung eines autoritären Regimes durch den damaligen Bundeskanzler Engelbert Dollfuß im März 1933, der Bürgerkrieg vom 12. bis 15. Februar 1934 mit mehreren hundert Toten sowie die Machtergreifung der Nationalsozialisten in Österreich im März 1938 waren.
Die Kirche war damals ganz eng mit der Christlichsozialen Partei verbunden, bei gleichzeitiger starker Frontstellung zwischen Kirche und Sozialdemokratischer Arbeiterpartei. In ihrem Weihnachtshirtenbrief von 1933 erklärten die Bischöfe Christentum und Nationalsozialismus für unvereinbar. Zwar beschloss die Österreichische Bischofskonferenz im November 1933 den Rückzug der Priester als Mandatare aus der Politik, die enge Bindung an die Christlichsoziale Partei und die weitgehende Unterstützung für das autoritäre Regime unter Dollfuß bzw. dessen Nachfolger Kurt Schuschnigg sowie für den „Ständestaat“ blieb aber bestehen. Nach dem „Anschluss“ Österreichs an Hitler-Deutschland versuchten sich die Bischöfe – von einzelnen kritischen Stimmen und Stellungnahmen abgesehen – mit den neuen Machthabern zu arrangieren und die Rechte der Kirche einzumahnen, sie hätten aber bald das „wahre Gesicht“ des NS-Regimes erkennen müssen, so Sohn-Kronthaler.
Nach 1945 habe die Kirche die Lehren aus ihren Fehlern und Erfahrungen zu ziehen versucht, führte die Kirchenhistorikerin aus. Die katholische Kirche in Österreich tat dies im „Mariazeller Manifest“ von 1952. Unter dem Motto „Eine freie Kirche in einer freien Gesellschaft“ wurde eine Rückkehr zu einem „Staatskirchentum“ oder einem Bündnis von Thron und Altar ausgeschlossen, ebenso eine Rückkehr zu einem „Protektorat einer Partei über die Kirche“. Gleichzeitig erklärte die Kirche ihren Willen zur Zusammenarbeit mit allen, die „für Freiheit und Würde des Menschen kämpfen“. Für Kardinal Franz König, ab 1956 Erzbischof von Wien, seien diese Brückenschläge Programm gewesen.
Im Blick auf die gegenwärtige Zunahme von Polarisierung und hetzerischer Sprache in Politik und Gesellschaft müssten die Christen besonders wachsam sein, hob die Kirchenhistorikerin hervor. Ihre Aufgabe sei es, Dialog und Verständigung zu fördern und einzumahnen und Frieden zu stiften.
Synodaler Prozess: Überraschungen möglich
Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil habe die katholische Weltkirche gezeigt, dass sie lern- und reformfähig ist, sagte Sohn-Kronthaler weiter. Jene habe mit dem Konzil „ihre Fenster aufgestoßen“ und viele innerkirchliche Reformen auf den Weg gebracht. Ab Mitte der 1980er Jahre sei der Reformprozess gebremst worden, was auch von den handelnden Personen abgehangen habe. Mit Papst Franziskus und den von ihm angestoßenen „Synodalen Prozess“ sei die Chance auf Reformen wieder gegeben, auch wenn für manche das Tempo zu langsam sei, etwa in der „Frauenfrage“. Die Synodalversammlung im Herbst in Rom könnte auch Überraschungen bringen, hielt Sohn-Kronthaler im Blick auf die wechselreiche Kirchengeschichte fest.
(jp/21.7.2024)
"Es braucht die Ermutigung zur Demokratie als Lebensform"
Leiter der "Parlamentswissenschaftlichen Grundsatzarbeit", Christoph Konrath über Gefahren für die Demokratie heute.
Demokratie ist eine „Lebensform“, und als solche muss sie von den Bürgerinnen und Bürgern eingeübt sowie laufend erlebt und praktiziert werden; geschieht das nicht, ist sie gefährdet. Darauf hat der Leiter „Parlamentswissenschaftlichen Grundsatzarbeit“ im österreichischen Parlament, Christoph Konrath, zum Abschluss der Sommerakademie der Katholischen Männerbewegung Österreich (KMBÖ) in Horn hingewiesen. Demokratie werde heute oft nur noch als etwas Formales oder Instrumentelles wahrgenommen, bedauerte Konrath. Man kenne die Grundregeln, vor allem, wie die Wahlen funktionieren, und vertraue darauf, dass andere auf die Demokratie und ihr Fortbestehen achtgeben.
Im Detail erwarte man im Blick auf demokratische Einrichtungen, Gerichte und Verwaltung, dass sie funktionieren. Von der Politik erwarte man sich, dass die „Erfolge“ liefert, vor allem hinsichtlich einer guten Entwicklung der Wirtschaft. „Viele Menschen werden zu passiven Bürgerinnen und Bürgern, selbst für diese Ziele aktiv zu sein, ist im Rückgang. Wenn nicht alles reibungslos funktioniert, herrscht Enttäuschung“, so Konrath. Andere verstünden Demokratie sehr instrumentell, d.h. sie versuchten, ihre Regeln für ihre eigene Ziele auszureizen – „was ist möglich?“ und nicht „was sollen wir tun?“. Das gelte auch für die Regierungen in manchen Ländern, derzeit etwa in Ungarn und der Slowakei.
Dagegen könne helfen, immer wieder den „Geist“ der Demokratie in Erinnerung zu rufen und zu debattieren, was Demokratie im Detail tatsächlich heiße. Sie bedeute eben nicht bloße Herrschaft der Mehrheit, sondern brauche auch Selbstbeschränkungen wie Minderheitenschutz und einen Verfassungsgerichtshof, der die Grundlagen schützt, so der leitende Parlamentsmitarbeiter.
Kommunikation unter Abgeordneten fördern
Wesentlich für den Schutz der Demokratie und ihren Erhalt als „Lebensform“ seien auch Möglichkeiten und Räume für die Begegnung und das Gespräch der Abgeordneten untereinander. So gebe es etwa im kanadischen Parlament zum Auftakt jeder Sitzung 15 Minuten freier Rede, in der die Abgeordneten alles, was ihnen ein Anliegen ist, zur Sprache bringen können. Die Parlamentarier redeten einander auch nicht mit Namen, sondern als Abgeordnete des jeweiligen Wahlkreises an. „Das erinnert alle an ihr Amt, ihr Mandat, das sie übernommen haben, und ist ein Zeichen des Respekts voreinander“, berichtete Konrath. Als weiteres Beispiel wies auf das Parlament des US-Bundesstaates Texas hin. In diesem gebe es keine Sitzordnung, was die Kommunikation unter den Abgeordneten unterschiedlicher Parteien stark fördere. Trump-Anhänger versuchten derzeit, dies abzuschaffen.
In Österreich sieht Konrath einen intensiveren Austausch unter den Abgeordneten dadurch erschwert, dass die demokratischen Gremien (Parlament, Landtage…) im Vergleich eine eher niedrige Tagungsfrequenz aufweisen. Auch gebe es – im Vergleich zu manch anderen westlichen Parlamenten – weniger Zeit für einen eingehenden Austausch mit Fachleuten aus verschiedensten Gebieten.
Steigende Zahl von Nicht-Wahlberechtigten
Bei den Wahlberechtigten sei die Tendenz festzustellen, dass sie immer weniger Zeit und Energie aufbringen, sich für Politik zu interessieren und sich mit politischen Fragen eingehender zu beschäftigen. Eine Folge sei die sinkende Wahlbeteiligung. Konrath appellierte an die Kirche, ihre Möglichkeit zu nutzen, um die Menschen zur Teilnahme an Politik und Wahlen zu motivieren.
Als eine weitere Gefahr für die „Lebensform Demokratie“ nannte der Parlamentarismus-Experte die stark steigende Zahl der Nicht-Wahlberechtigten in Österreich. Viele dieser Zuwanderer hätten als Arbeitnehmer allerdings das Recht, an den Arbeiterkammerwahlen teilzunehmen. Studien hätten gezeigt, dass sie die Unterlagen, die ihnen dazu zugeschickt werden, in vielen Fällen gar nicht öffnen, das sie irrigerweise annehmen, gar nicht wahlberechtigt zu sein.
Konrath zusammenfassend: „Demokratie ist nichts Fixes, sondern muss immer wieder erarbeitet, gelebt und erlebt werden. Es braucht nicht nur den Blick auf das, was sie gefährdet, sondern noch mehr die Erfolgsgeschichten.“
(jp/22.7.2024)